Sprich gefälligst Deutsch!

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© Joa­chim Gern

Olga Grjasnowas Die Macht der Mehrsprachigkeit: Über Herkunft und Vielfalt

von Jona Kron

Am Don­ners­tag, den 22. Juli, ist Olga Grjas­no­wa Podi­ums­gast der „Lan­gen Nacht der Augs­bur­ger Gesprä­che: Lite­ra­tur — Thea­ter — Enga­ge­ment“. Eine Ver­an­stal­tung, die die­ses Jahr öffent­lich unter dem Hash­tag „Zusam­men­halt“ auf­tritt. Einen sol­chen Zusam­men­halt ver­misst Grjas­no­wa in unse­rer durch hete­ro­ge­ne Sprach­land­schaf­ten gepräg­ten Gesell­schaft, wie sie in ihrer aktu­el­len Buch­ver­öf­fent­li­chung Die Macht der Mehr­spra­chig­keit: Über Her­kunft und Viel­falt, erschie­nen 2021 beim Duden­ver­lag, deut­lich macht. Der Text befasst sich mit unglei­chen Macht­ver­hält­nis­sen zwi­schen Spra­chen und den Men­schen, die sie hier in Deutsch­land spre­chen oder ein­mal gespro­chen haben.

Die Macht der Mehr­spra­chig­keit ver­bin­det die Refle­xi­on über hete­ro­ge­ne Sprach­land­schaf­ten mit dem eige­nen bio­gra­fi­schen Hin­ter­grund der Autorin. Immer wie­der wer­den per­sön­li­che Erfah­run­gen der 1984 in Baku (Aser­bai­dschan) gebo­re­nen und 1996 als Kon­tin­gent­flücht­ling nach Hes­sen über­ge­sie­del­ten Schrift­stel­le­rin mit einer theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung über Spra­che und Viel­falt ver­knüpft. Auf die­se Wei­se macht Grjas­no­wa greif­bar, wie essen­zi­ell Spra­che für die Aus­bil­dung der eige­nen Iden­ti­tät ist, aber auch für die Abgren­zung vom jeweils Ande­ren. In ihrem Buch, das mehr einem Essay gleicht, kom­men (post-)koloniale und Trans­la­ti­ons­theo­rien genau­so zur Spra­che, wie aktu­el­le Stu­di­en zur Mehr­spra­chig­keit, Erzie­hung und auch Stim­men aus Poli­tik und von den Betrof­fe­nen selbst.

Der Text beleuch­tet Mehr­spra­chig­keit einer­seits als wei­ßes Pri­vi­leg, ande­rer­seits als Aus­druck von man­geln­den Inte­gra­ti­ons­mög­lich­kei­ten und arbei­tet so die Para­do­xien im Umgang mit Mehr­spra­chig­keit her­aus. Außer­dem beschäf­tigt sich Grjas­no­wa aus­gie­big mit Ras­sis­mus und sprach­li­chem Klas­sen­den­ken inner­halb deut­scher Behör­den, der Arbeits­welt, der Schu­le und der Gesell­schaft. So zeigt Grjas­no­wa eine Hier­ar­chi­sie­rung von Spra­chen auf; Eng­lisch und Fran­zö­sisch ste­hen zum Bei­spiel hoch im Kurs, wäh­rend etwa Tür­kisch oder Per­sisch sel­ten sozia­le Aner­ken­nung erfah­ren. Dar­aus erwächst Grjas­no­was Appell: Es ist an der Zeit, sich für eine Gesell­schaft ein­zu­set­zen, die lernt, Mehr­spra­chig­keit als Mög­lich­keit kul­tu­rel­len Wachs­tums wahr­zu­neh­men und auf­hört, pedan­tisch ihren Spu­ren im deut­schen Sprach­ge­brauch nach­zu­stel­len. Das gilt auch für den Schul­be­trieb, denn der deut­sche Staat soll­te sich inzwi­schen mehr als nur den Deutsch­un­ter­richt, Fran­zö­sisch, Latein und Spa­nisch leis­ten kön­nen. Eine durch­aus zeit­ge­rech­te For­de­rung, wie die Autorin gegen Ende ihres Buchs mit dem Phä­no­men „Kiez­deutsch“ und wei­te­ren pop­kul­tu­rel­len Bei­spie­len unterstreicht.

Olga Gjas­no­wa benennt the­ma­tisch wich­ti­ge Grund­kon­zep­te und Theo­re­ti­ker – wie etwa Wal­ter Ben­ja­min und Jac­ques Der­ri­da – und gibt ihnen den Kon­text ihres eige­nen mul­ti­l­in­gu­al gepräg­ten Erleb­nis­schat­zes. Dabei ist auch Grjas­no­was Text nicht immer ganz frei von inter­tex­tu­el­len Ein­flüs­sen impe­ria­ler Spra­chen wie etwa dem Fran­zö­si­schen, das an ande­rer Stel­le aus­ge­rech­net als Bei­spiel mit­tel­eu­ro­päi­schem Eli­te­den­kens her­hält. Nichts­des­to­trotz macht das Buch Lust, sich wie­der einer ein­ge­staub­ten Gram­ma­tik zuzu­wen­den oder der Sprach­lern-App, der schon lan­ge die Benach­rich­ti­gun­gen ver­bo­ten wur­den. Außer­dem freue ich mich, dass mir jetzt ein Buch gehört, das erfolg­reich die Brü­cke von Der­ri­da zu Haft­be­fehl schlägt.