Thomas Köck über das politische Schreiben für das Theater
von Johanna Thebe
Thomas Köck wird mit seinen mehrfach ausgezeichneten Theatertexten als politischer Autor diskutiert und dabei zugleich für seinen virtuos-poetischen Sprachgebrauch gelobt. Die Praxis der Kunst als politisches Mittel findet in seinen Theatertexten ebenso Raum, wie in seinen Aktivitäten als Blogger (vor allem im Rahmen des von ihm mitinitiierten Blogprojekts NAZIS & GOLDMUND), aber auch in seinen eher theoretischen (und darin nicht weniger politisch, poetisch und radikal subjektiven) Äußerungen im Rahmen der Hamburger Poetikvorlesung ghost matters oder dem Onlinemagazin logbuch des Suhrkampverlags.
Kapitalismuskritik, Kritik an den gesellschaftlichen Ausgrenzungen, an Rassismus und Neokolonialismus oder der Klimawandel sind einige der Themen, die in den Texten des Mitte-30-jährigen in Österreich geborenen Sprachkünstlers unter vielgestaltigen und historischen wie aktuell theoretisch-philosophischen Bezug verhandelt werden. Dabei scheinen diese Texte eine ganz praktische Zielrichtung zu haben: Gegen den neuen rechten Faschismus in Europa, für eine der Entfremdung der spätkapitalistischen Lebens- und Produktionsweisen entgegenwirkende Solidarität. Doch nicht nur die Themen, sondern eben auch der sound dieser Texte des durch Musik sozialisierten, in Berlin lebenden Autors, geben Anlass, nach dem Verhältnis von literarischen Texten und politischer, sozialer und kultureller Gegenwart zu fragen.
Schau ins Blau Lieber Thomas Köck, großen Dank, dass Sie sich Zeit für das Gespräch mit Schau ins Blau nehmen! Sagen Sie doch gerne zu Beginn, was Sie dazu bewegt, sich auf diese Einladung zum Gespräch zum Politischem im Schreiben für das Theater einzulassen? Sehen Sie darin eine willkommene Gelegenheit, sich als Autor mit einer engagierten Haltung zu präsentieren und ist dies eine mögliche Ergänzung zu Ihrem politischem Schreiben? Oder lassen Sie das Politische doch lieber in der Literatur stattfinden?
Thomas Köck Ich mag das Parlieren, das Suchen als Gesprächsform, nicht zu wissen, wo man hin möchte. Ihr Magazin bietet ja die Möglichkeit, manche Dinge etwas ausführlicher und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Als Autor bin ich oft der Letzte, der Antworten auf meine Texte weiß, aber im Gespräch ergeben sich vielleicht dazu Möglichkeiten.
Schau ins Blau Wenn Ihre Texte als politisch gelten dürfen, sind sie es dann, weil darin eine bewusst gewählte Haltung transportiert wird und gibt es dabei bestimmte ästhetische Strategien, die Sie wählen?
Thomas Köck Ich setze mich nicht hin und verfolge den Plan, politische Texte zu schreiben. Das sind Kategorien von außen, sie stammen von einem mit Schlagworten operierenden Betrieb. Ich vermute, dass das Politische eher auf der Zeichenebene stattfindet, weil dort nicht so etwas wie ein Plot oder eine Geschichte im Vordergrund steht oder Figuren, die im Dienst eines Problems etwas aushandeln, sondern eher Thesen und die Sprache selbst. Auch grammatikalische Regeln können bestimmen, wie wir über Probleme sprechen, wie wir über uns sprechen, was sichtbar ist und was nicht und wie wir überhaupt sprechen. Und ich vermute, die Konzentration der Texte auf diese Spielregeln der Sprache anstatt auf die vordergründige Unterhaltung durch einen Plot, identifiziert man dann als politisch. Für mich ist das eigentlich nur poetisch. Ich sehe da meinen Job drin. Zu verdichten und an der Form weiterzuarbeiten.
Schau ins Blau Sehen Sie, sowohl für die ästhetische Gestaltung, als auch für die Inhalte Ihrer Texte eine Problematik darin, unter politische oder engagierte Vorzeichen gestellt zu werden, oder ist das gar kein Widerspruch?
Thomas Köck Identifiziert zu werden, kategorisiert zu werden, irgendwie eingeordnet zu werden ist ja eigentlich immer schwierig. Das Problem ist ja nicht nur das Label, mit dem man bestimmte Sichtbarkeiten erzeugt und ein bestimmtes Publikum vorab festlegt, sondern auch eine bestimmte Lesbarkeit, die dadurch zementiert wird. Wie gesagt, ich würde viele der vermeintlich als politisch identifizierten Verfahren in den Texten schlicht als poetisch bezeichnen, als Formen der Verschränkung, der Montage, der Kollision, der Auseinandersetzung mit bestimmen Fragen und Problemen, eher mit dem Wunsch keine politischen Texte zu machen, sondern Texte politisch zu machen. Wenn man es ernst meint mit der Poesie, mit der Sprache, mit den Sätzen, mit der eigenen Arbeit im weitesten Sinne (gilt ja auch für Musik oder Film und Performance), dann schabt man nun einmal an den Bedingungen der eigenen Perspektive, des eigenen Weltzugangs und deshalb macht man ja am Ende diese Arbeit, weil man etwas verstehen möchte. Sich selbst vielleicht. Wieso man ist, wer man ist. Wieso diese Gesellschaft so ist, wie sie ist, wie ihre Ausschlüsse funktionieren, warum Menschen einander Schmerz zufügen und einander erniedrigen. Und um das zu verstehen, muss man fragen und durch das Fragen öffnen sich Räume. Das Politische beginnt ja mit Rancière dort, wo das Unerhörte zur Sprache kommt, die Nicht-Repräsentierten sprechen und sich eine Stimme verschaffen. Und Poesie kann diese Räume erzeugen und öffnen, in dem diese nicht-repräsentierten Stimmen Gehör bekommen.
Schau ins Blau In Ihrer Hamburger Poetikvorlesung heißt es zum sound Ihrer Texte: “sound ist soviel relevanter / als jeder inhalt jedes thema soviel / bedeutsamer als politik / gerade weil er hochpolitisch ist“[1]. Setzen Sie hier, auch wenn Sie dann an anderer Stelle von einer „sym-poietischen ethik“[2] sprechen, einen ethischen Anspruch vor oder in das Politische? Inwiefern spiegelt sich also das Politische im sound wider und liegt darin eine ethische Qualität Ihrer Texte?
Thomas Köck Der Sound ist ja ein poetisches Mittel, und dann natürlich ist es sofort politisch, wenn man überlegt, dass Sound auch entsteht aus dem Nichtbefolgen von grammatikalischen Regeln oder tradierten Sinnzusammenhängen, der Sound hat letztlich natürlich auch etwas Ekstatisches, Unkontrollierbares, das die Grammatik sprengt oder zumindest durchstreicht oder denken wir an Akzente und sofort wird da aus dem Sound eine größere Frage über die eigene Sprache, das vermeintlich Originäre eines Sounds, eines Klangs und eines regional begrenzten und von dort aus universal gedachten Sprachgebrauchs und der daran anschließenden Sinnzusammenhänge. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sinn ein Effekt von Rhythmus und Betonung ist und nichts, was Begriffen inhärent wäre. Sound legt die Spuren fest, durch die wir dem Sinn folgen.
Schau ins Blau Sowohl Ihre textuelle Ästhetik der Vielstimmigkeit, der Stellenwert des Chors in ihren Theatertexten, aber auch die Forderung auf dem von Ihnen initiierten Blog NAZIS & GOLDMUND lassen ein vielköpfiges, radikal-inklusives, in sich widersprüchliches Kollektiv als politisches Subjekt erscheinen. Was ist daran emanzipatorisch, worin besteht hier das politische Moment?
Thomas Köck Ich komme ja gar nicht so von der Literatur, es ist nicht so, dass ich dachte, ich möchte gerne Bücher und Romane schreiben. Ich komme ja aus Proberäumen, also versifften Kellern, die für mich aber eben immer solche offenen Räume bleiben werden, temporäre autonome Zonen, wo man auch mit Musiker*innen und Kolleg*innen zusammenarbeitet und im besten Fall gar nicht mehr weiß, wie jetzt genau ein Sound bzw. ein Song zustande kam. Eines beeinflusst da im besten Fall das andere beim gemeinsamen Spielen. Und das als offene Form, also mit Freund*innen zusammen Musik zu machen, war letztlich die wichtigste, prägendste und verschwörerischste Praxis, die ich je erfahren durfte. Der träume ich immer noch hinterher. Mir ging es da nie vordergründig um mich, sondern um die gemeinsame Sache. Das ist meistens auch eine prekäre Situation, weil es von allen ein bestimmtes Durchstreichen des Individuellen erfordert, auf das man wiederum hin erzogen wurde, und man durchlebt gerade deshalb viele schwierige Konflikte zusammen. ‚Sei Du selbst‘, ‚Glaub an Dich‘ und so — all diese neoliberalen Mantras. Dabei weiß ich doch eigentlich immer erst, wer ich gerade bin, was ich mag und so weiter, wenn ich mich mit anderen austausche. Alleine verkümmere ich meistens. Und danach suche ich eigentlich immer noch und dann sind offene Formen natürlich per se politisch. Nicht nur, weil sie den zentralen Akteur der westlichen Moderne oder der Aufklärung in Frage stellen, nämlich das Individuum, das sich, so erzählt man das zumindest, gefälligst selbst verwirklichen und etwas aus sich machen soll, seine Besonderheiten, sein Singuläres zu Markte tragen soll. Es sind natürlich temporäre Freiräume, die im besten Fall autark sind, auch weil sie dem Wunsch nach Kontrolle, nach Ordnung und Kategorisierung zuwiderlaufen. Man möchte ja die Regie und den Autor identifizieren und man will ja festlegen, wer jeweils die Urheber*innen sind. Das sind ja die Kontrollwerkzeuge der Moderne gewesen. Und wenn die nicht mehr greifen, entsteht Unruhe. Und die will man ja bekanntlich vermeiden, sonst leidet das Geschäft und man muss seine eigenen Kategorien in Frage stellen. Und mich interessieren einfach offene Formen, offensiver Austausch, die gemeinsame Praxis, die gemeinsame Suche. Mich interessiert tatsächlich die Sym-Poiesis, wie das Donna Haraway nennt. Ich meine gerade in einer Zeit, in der überall Einhegungen und Ummantelungen vorgenommen werden, wo überall neue Mauern gewünscht werden und ein völlig verquerer, identitärer Biologismus mit vermeintlich einfachen Fronten wieder zurückkehrt, finde ich es schon erstrebenswert, die Offenheit, die Ambivalenz und das auch in sich widersprüchliche Kollektive herzustellen und zu versuchen, es auszuhalten. Immer wieder.
Schau ins Blau Wie autonom sind Ihre Theatertexte, inwiefern verstehen sich diese als Literatur?
Thomas Köck Autonomie ist auf jeden Fall ein zentraler Begriff für mich. Das gilt tatsächlich auch für die Texte, in diesem Sinne, um zu erfahren, ob die Texte sich selbst als Literatur verstehen, müssen Sie schon die Texte selbst befragen.
Schau ins Blau Was hat die Aufführbarkeit oder dann die Verkörperung auf der Bühne selbst für eine Wirkung auf den Text und ihr Schreiben und liegt darin für Sie eine Dimension des Politischen?
Thomas Köck Also die Texte wollen ja nicht, dass die Räume, die sie selbst eröffnen, auf der Bühne durch diesen sehr eng getakteten Betrieb gleich wieder zugemacht werden. Deshalb sperren sie sich hier und da vielleicht ein wenig. Könnte man sagen. Ich würde eher meinen, es sind vor allem die besten und interessantesten Schauspieler*innen, die sehr viele Widerstände gegenüber der Bühne mitbringen, gegenüber dem Betrieblichen im Theater, gegenüber so Begriffen wie Verkörperung oder so, und mit guten Texten ist es genauso.
Schau ins Blau Sind die Zustände in den Theatern, in Anbetracht der Zugänglichkeit, der hierarchischen und nach ökonomischen Kriterien organisierten Betriebe, aber auch der bestehenden Wertung des Theatertextes, momentan günstig für politische Autor*innen? Was soll sich ändern?
Thomas Köck Ich würde mir insgesamt mehr Zugänglichkeit und Durchlässigkeit wünschen. Mehr temporäre autonome Zonen für alle Beteiligten. Und ja, die Klassik kann man in so speziellen Inszenierungen für touristisches Publikum zeigen, ansonsten sollte man das Theater weg von der Verwaltung des Ewiggleichen emanzipieren.
Schau ins Blau Lässt sich befürchten, dass Ihre Texte, denen ja sehr viel Anerkennung zukommt, zwar eine Bereicherung für eine bestimmte Szene, die sich mit Literatur und Theater auseinandersetzt, bedeuten, aber vielleicht gerade hierdurch wiederum zum Konsumgut werden, statt politische Sprengkraft zu entfalten?
Thomas Köck Ja vielleicht. Mich interessiert ja eher, durch andere Rollenverhältnisse, andere Geschichten, andere Erzählungen und andere Bilder am Ende andere Besetzungspolitiken zu ermöglichen und neue Sichtbarkeiten herzustellen, mit repertoirefähigen Texten, was am Ende hoffentlich einen Betrieb ein klein wenig verändert, der immerhin zeigen will, wie die Welt so aussieht, wer und was repräsentierbar ist und ehe man sichs versieht, stehen da andere Gesichter, Geschichten und Normen und das sind die Kerben, die ich mit diesen Texten in diese Bretter schlagen will, die immerhin die Welt bedeuten wollen.
Schau ins Blau Gilt es da auch, andere, weitere Allianzen außerhalb des Literatur- und Theaterbereichs zu suchen? Welche wären das?
Thomas Köck Ja, unbedingt. Also wie gesagt, ich komme ja nicht aus dem Literatur- oder Theaterbereich und suche eigentlich eh immer Schulterschlüsse und Kompliz*innenschaften. Eine gute alte Allianz wäre der Klassenkampf, wären anti-rassistische, anti-sexistische Netzwerke. Wir haben mit Nazis & Goldmund ja auch einiges probiert und versucht, Netzwerke herzustellen und zu moderieren. Vor allem meine Kolleg*innen Jörg Albrecht und Gerhild Steinbuch sind da sehr engagiert.
Schau ins Blau Wenn in der Diskussion über Theater heute die mangelnde Diversität in den Anstellungen der Schauspieler*innen kritisiert wird und auch die künstlerische Arbeit sich mit dem Vorwurf von elitärer Stellvertretungspolitik und sogar kultureller Aneignung konfrontiert sieht, worin besteht denn da genau die Problematik und wie lassen sich gerechtere Strukturen schaffen?
Thomas Köck Die Problematik besteht vor allen Dingen aus einer Welt, in der Produktionsbedingungen, Sprechbedingungen und Sichtbarkeiten ungleichmäßig verteilt sind. Man kann das nicht einfach so lösen, ohne an das Grundübel, nämlich den Kapitalismus heranzugehen. Man kann aber in einem ersten Schritt versuchen, größtmögliche Polyphonie in den Strukturen herzustellen. Auf institutioneller Ebene zum Beispiel einfach erst einmal durch Diversität. Da führt kein Weg dran vorbei. Man sollte erst einmal polyphone Strukturen schaffen. Und das nicht nur auf Ebene des Ensembles, sondern auch und vor allem in den Leitungen, den Dramaturgien, den KBBs, usw. Und zwar nicht aus Dekogründen, sondern um schärfer zusammen denken zu können und auch einfach um neue Allianzen herstellen zu können, damit es auf Dauer wirklich egal sein kann, wer wo wie spricht, auftritt und spielt. Die Frage nach wirklich längerfristiger, horizontaler Gerechtigkeit dieser gesamtgesellschaftlichen Strukturen (und letztlich sind die Diskussionen im Theater und in der Kunst ja nur ein Symptom von gesamtgesellschaftlichen Verwerfungen) ist allerdings um ein Vielfaches komplexer. Weil wir in einem System leben, dass von ungleichen Verhältnissen, von Ausbeutung lebt. Die Produktionskosten müssen so gering wie möglich sein, um den Mehrwert so hoch wie möglich zu halten – das wird am Ende immer Ausbeutungen und ungleiche Strukturen schaffen. Und das sollte man sich vor Augen führen: Man kriegt den Kapitalismus nicht auf Dauer grüner und diverser. Ein nachhaltiger Kapitalismus ist völlig paradox, weil das gegen das Grundprinzip des Wachstums laufen würde. Das ist ähnlich wie mit der Künstlerkritik am Kapitalismus nach 68. Der Kapitalismus hat sich erneuert, wurde hip, cool, Pop und von den Yuppies erobert und die Ausbeutungen haben sich lediglich verschoben. Und das dürfen wir jetzt nicht zulassen. Wenn wir es ernst meinen mit Gleichberechtigung, mit Nachhaltigkeit, mit Diversität, müssen wir auch und vor allem an den Kapitalismus ran. Gemeinsam. Und so schmerzhaft es klingt, aber in unserem System kriegt man das Theater aus dem Kapitalismus aber nicht den Kapitalismus aus dem Theater.
Schau ins Blau Gibt es für Ihre Texte einen Traditionskontext des Theatertextschreibens oder ist diese so schriftfixierte Frage zu eng gedacht im Anbetracht der Offenheit Ihres Schreibens, das intermedial ist durch die Integration von Bild oder Musik in das Textuelle, aber auch in Bezug auf gegenwärtige und geschichtliche Kontexte?
Thomas Köck Traditionen werden doch von jeder Generation neu ausgehandelt, denke ich. Also man würde wahrscheinlich heute ganz andere Traditionslinien der Kunst im 19. Jahrhundert ausmachen als vielleicht vor hundert Jahren. Man erkennt neue Ähnlichkeiten, weil man neue Fragen ausmacht usw. Und mir geht es da ähnlich. Alle paar Jahre sehe ich mich mit neuen Kompliz*innen und Traditionen quer durch die Geschichte und die Medien (seltsames Wort) verknüpft. Meine größten Kompliz*innen stammen ja aus der Musik. Momentan passiert hier kaum etwas am Schreibtisch ohne Anton Rafael Irisarri, Grouper, Caterina Barbieri oder Hiphop wie Rebeca Lane oder Ana Tijoux. Ansonsten ist Fotografie ein Medium, das ich wichtig finde fürs Arbeiten. Aber ich bin eigentlich der Überzeugung, dass sich diese Medien, Kontexte und letztlich Künstler*innen immer schon sehr stark sym-poietisch gegenseitig beeinflusst haben. Letztlich ist ja gerade das Theater ein Ort, in dem bildnerische Kunst, darstellende Kunst, Literatur, Musik usw. zusammenkommen. Und dieser potentielle Austausch reizt mich insgesamt an diesen Räumen.
Schau ins Blau Wir haben oben schon von dem sound Ihrer Theatertexte gesprochen, welcher sich ja auch über die Musikalität und Bildlichkeit auf die Ebene der Gefühle beziehen lässt. Wie würden Sie das Affektive mit ihrer Ästhetik und auch mit Ihrem Politikverständnis zusammenbringen?
Thomas Köck Weiß nicht, also manchmal höre ich ja, die Texte arbeiten mit einer Überwältigungsästhetik oder so. Ich nehme meine Arbeiten als poetische Texturen sehr ernst. Ich will niemanden überwältigen, das Theater schon, aber auch nicht überwältigen, sondern ihm letztlich andere Räume für Texte abgewinnen. Als ich angefangen habe, am Theater zu arbeiten, gab es die klare Anweisung: Verlange nicht zuviel, sonst spielen sie dich nicht. Und diese Einschätzung wollte ich mal austesten. Und wegen der Affektivität des Sounds, also wie schon oben gesagt: Ich glaube einfach, dass der Rhythmus letztlich die Spuren zum Sinn weist. Die Art, wie etwas gesagt wird, entscheidet, was ankommt. So funktioniert ja auch Populismus. So funktioniert natürlich jede Rede – aber wir vergessen das beizeiten. Und bei diesen (und anderen) Texten fällt es offensichtlich auf: Sprache ist nicht einfach so da, die wird nach tradierten Rhythmen und Regeln performt. Und klar, in der unerwarteten Montage von Bildern wiederum werden unter Umständen andere Bilder, Strukturen, und vielleicht, vielleicht sogar Auswege sichtbar.
Schau ins Blau Die Stücke, die Sie schreiben legen die katastrophalen Zustände der Gegenwart mit weiten historischen Bezügen offen und lassen eine radikale Kritik am Kapitalismus, einhergehend mit verschiedensten Ausbeutungs- und Diskriminierungsformen zu. Wo und wie gehen Ihre Texte über die Kritik, die Negation und den Bruch mit dem Bestehenden hinaus?
Thomas Köck Auch hier finde ich es wichtig, dass man sich überlegt, dass es repertoirefähige Texte sind. Das heißt im besten Fall sind sie vergleichbar mit Viren, die Häuser quer durch die Republik befallen und Fragen an die Struktur des Hauses stellen, an die Besetzungspolitik und an die Produktionsbedingungen – so verstehe ich zumindest Wünsche in den Texten nach Chören, nach diversen Besetzungen oder eben größere Geschichten und Zusammenhänge (wo ja zeitgenössische Dramatik eher klein und unkompliziert denken soll). Das heißt das Produktive in den Texten ist für mich eher auf der Produktionsebene zu sehen. In der Anmaßung, als Autor (der ja vom Betrieb gar nicht gebraucht wird) vom Theater das Unmögliche einzufordern und dort, wo sich Theater dann darauf einlassen, erhalten die meistens auch tolle, schöne und gemeinschaftliche Abende zurück. Zumindest durfte ich schon einige erleben. Trotz der Härte der Themen oder der im Text behandelten Probleme. Aber wenigstens sprechen wir dann im besten Fall einmal gemeinsam über diese Probleme. Und spielen die einmal gemeinsam durch.
Schau ins Blau Lassen sich Aspekte dieser Produktivität oder sogar des Utopischen Ihrer Texte auf konkretes Handeln beziehen? Wenn Ihre Literatur (besonders eindringlich in den dystopischen Szenarien aus der Klimatrilogie) sicherlich keine gesellschaftliche Utopie entwirft, gibt sie dann doch benennbare Impulse für politisches Handeln im Hier und Jetzt?
Thomas Köck Dass die Texte keine Utopien entwerfen, haben Sie jetzt gesagt. Das ist schon ein kategorisches Problem. Wenn ich eine gesellschaftliche Utopie suche, dann sehe ich die in einer bestimmten Form der Sprache, in einem bestimmten Sound, in einer bestimmten Form des Miteinanders, in dem vielleicht bestimmte Kategorien erst einmal nicht stattfinden und ein offenes, sym-poietisches Spiel möglich ist. Was genau wäre denn eine gesellschaftliche Utopie auf der Bühne? Ich weiß immer nicht – Theater und Bildungsauftrag bzw. Theater als handlungsleitend. Ich gehe da aus verschiedenen Gründen nicht mit. Ich verstehe, dass man sich das wünscht, dass von einer Bühne herunter die Schauspieler*innen sagen, wie man zu leben hat und wie die Welt ein besserer Ort sein könnte. Diese ganze architektonische Anordnung daran ist schon das Problem. „Da oben“ auf der Bühne sind doch erst einmal Schauspieler*innen und die Texte, die sie sprechen, und der Raum in dem sie stehen und die Kleidung, die sie tragen, sind doch nicht authentisch. Das Licht, das sie von hinten dramatisch anleuchtet, während sie vermeintlich utopisch sind, wird doch zwei Wochen lang probiert. Außerdem ist dieser Ort Theater ja auch durchzogen von den gleichen strukturellen Problemen wie der Rest der Welt. Und die sollte man durch eine gemeinsame, sym-poietische Praxis ändern. Es geht darum, die Strukturen umzuschmeißen und zu ändern – eine bestimmte Poesie oder ein Sound kann das reflektieren, begleiten und auch archivieren oder ganz schlicht die tradierten, gewohnten Produktions- und Spielweisen zum Stottern bringen und in der Kollision mit dem Widerständigen, mit widerständigen Texten, die sich gegen bestimmte gewohnte Inszenierungspraktiken zur Wehr setzen, etwas völlig Neuartiges zutage treten lassen. Theater hat dort gewonnen, wo es keine Lösung mehr weiß.
[1]Köck, Thomas: ghost matters. poetik vorlesung von thomas köck an der hochschule für musik & theater hamburg; https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=17268:die-hamburger-poetikvorlesung-des-dramatikers-thomas-koeck&catid=53:portraet-a-profil&Itemid=83.
[2]Ebd..
(Bildrechte: © Elsa-Sophie Jach)
Thomas Köck wurde 1986 in Steyr, Oberösterreich geboren. Er ist durch Musik sozialisiert und studierte Philosophie und Literaturtheorie in Wien und an der Freien Universität Berlin, sowie Szenisches Schreiben und Film an der Universität der Künste Berlin. Er arbeitete beim theatercombinat wien, war mit einem Dokumentarfilmprojekt über Beirut zur Berlinale Talents eingeladen, war Hausautor am Nationaltheater Mannheim, bloggt mit Kolleg*innen auf nazisundgoldmund.net gegen rechts und entwickelt mit Andreas Spechtl unter dem Label ghostdance konzertante readymades. Für seine Theatertexte wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2018 mit dem Literaturpreis »Text & Sprache« des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft sowie 2018 und 2019 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis für die Theatertexte paradies spielen (abendland. ein abgesang) und atlas, zuletzt auch mit dem Publikumspreis der Mülheimer Theatertage NRW.