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Die Uraufführung von Sophia Himmels Für Geeignete Personen
von Jona Kron
Am 28. Januar 2023 lud das Sensemble Theater in Augsburg zur Uraufführung des Stücks Für geeignete Personen vom Autorenkollektiv Sophia Himmel (Sebastian Seidel/Christian Krug) ein. Die Regie übernahm Philipp J. Neumann aus Leipzig unter der Assistenz von Lisa Bühler. Das Stück thematisiert die manchmal schwer auszuhaltende Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit, Leben und Tod. Es sucht die Konfrontation mit Ängsten sowie längst vergessen geglaubten Traumata und bewegt sich dabei nicht selten zwischen Tragik und Komik. Obendrauf – als wäre das nicht genug Stoff für einen Abend – spiegeln sich diese mannigfaltigen Schwellensituationen auch im wilden Durcheinander des Bühnenbilds.
Licht aus, alles dunkel außer der Schein eines Röhrenfernsehers. Ein Mann im Krankenbett, angeleuchtet von tanzenden Cartoon-Skeletten, wacht schreiend und schweißgebadet auf. Hinter ihm ragt der Kopf eines Pflegers aus einem Puppentheater hervor. Der Patient erzählt dem Pfleger von einem Traum, den der Pfleger aber längst zu kennen scheint. Spätestens hier wird klar, die beiden Figuren befinden sich in einer Art Zeitschleife. Mit jedem erneuten Erwachen des Patienten beginnt ein Wechselspiel zwischen den beiden Figuren, zwischen Traum und vermeintlicher Wirklichkeit.
Gleich auf mehreren Ebenen wird ein Katz- und Maus-Spiel betrieben. Wie im Cartoon jagen beide einander durch die fiktiven, ihrer eigenen Logik folgenden Korridore des Bühnenbilds. Der Patient möchte entlassen werden, doch der Pfleger versucht ihn mit seinen Ängsten, seinen Schuldgefühlen und seinem Kindheitstrauma zu konfrontieren. Sowohl der nahende Tod als auch das Trauma werden stets nur angedeutet, höchstens umrissen, aber nicht ausbuchstabiert. Immer wieder instigieren beide Figuren mal mehr, mal weniger erfolgreich den Schleier der Vergangenheit ein Stück weit zu lüften. Nur damit sich dieser Schleier kurz darauf wieder verdichtet und am Ende der Sequenz oftmals wieder alles in Dunkel hüllt.
Die Uraufführung fühlt sich an wie ein Heimspiel für die beiden Schauspieler Florian Fisch und Heiko Dietz. Das Publikum lacht bereits über erste kleinere Absurditäten und leicht morbide Wortspielereien – unwissend, dass sich diese im Verlauf des Abends lediglich als die Spitze des Eisbergs herausstellen sollen. Durch das sich sukzessive ausbreitende Chaos auf der Bühne brechen kurze, aber kräftige Momente der (Selbst-)Erkenntnis durch. Den Spielern gelingt es hier, den oft schwer greifbar wirkenden Figuren ein Gesicht zu geben und den emotionalen Höhepunkten der Handlung Menschlichkeit und Nachdruck zu verleihen. Vom vollen körperlichen Einsatz über lange Strecken der 90-minütigen Inszenierung ganz zu schweigen.
Die Kostüme sind auf das Wesentliche reduziert. Das pinke Krankenpfleger-Outfit und der Patientenkittel – unter dem glücklicherweise Unterwäsche getragen werden darf – könnten direkt aus einem Lagerraum des Uniklinikums stammen. Abgesehen davon muss der Patient oft genug ein einfaches braunes Jackett und die dazugehörige Hose an und wieder ausziehen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Figuren zu Beginn jeder Szene wieder in eine Art Status quo zurückfallen, ist die minimalistische Kostümierung nachvollziehbar.
Das Bühnenbild, durch das die Spieler einander und sich selber scheuchen, integriert Schattenspiel, Flaschenzüge sowie Miniaturversionen der beiden Hauptfiguren. Die Beleuchtung bündelt die Aufmerksamkeit des Publikums auf verschiedene Abschnitte des wandelbaren Bühnenbilds. So entsteht ein Transformationseffekt von einem merkwürdig zugemüllten Krankenzimmer hin zum Kinderzimmer des Patienten. Hier geht das Bühnenbild in seiner Rolle als dritter Hauptcharakter auf.
Die Inszenierung hat brillante Momente, etwa wenn die Figuren sich selbst als Puppen in einer Miniaturversion des Krankenhausgangs spielen. Die Dekonstruktion sowohl des Sterbeprozesses als auch der Charaktere und die damit einhergehende Infragestellung traditioneller Vorstellungen vom Tod werden wirkungsvoll umgesetzt. Manchmal hätte ich mir etwas mehr Zeit für die einzelnen Themenkomplexe gewünscht. Stattdessen geht so mancher Gedanke allzu schnell im Strudel des inszenierten Wahnsinns unter, aber das ist natürlich Absicht dieses Abends, der dazu anregt, über Sinn und Unsinn des Sterbens nachzudenken. Alles in allem ganz schön weird. Der emphatische Applaus zum Ende der Uraufführung spricht eine eindeutige Sprache.
Wer sich selbst ein Bild machen möchte: „Für Geeignete Personen” wird bis zum 01. April 2023 im Sensemble Theater aufgeführt.