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Berwyns zweites Album Tape 2/Fomalhaut
von Jona Kron
Es ist erst ein paar Monate her, als ich auf einen Liveauftritt von Berwyn aufmerksam wurde im Rahmen des BBC 1Xtra Newcomer-Formats Hot 4 2021. Da stand er – die Diashow hinter ihm zeigte die Straßen seiner Heimat Romford in Ost-London – fast unscheinbar; ein kleiner, schmächtiger Mann mit eigenwilliger Stimme. Und dennoch konnte ich mich nicht losreißen von dieser Mischung aus Grime, R’n’B, und musikuntermalter Poesie à la Kae Tempest. Heute verschönert Berwyns erstes Album Demotape/Vega (2020) meine Wand im Hintergrund von Zoom-Meetings, doch muss es bald schon wieder Platz machen für Tape 2/Fomalhaut (Juni 2021)?
Berwyns zweites Album nimmt den Hörer mit auf eine Taxifahrt ohne Ziel, während der er seine Erfahrungen in London teilt. Der Motor von Berwyns Sound ist der durchdringend-tiefe, rhythmische Herzschlag einer Drum-Maschine, sein Treibstoff: minimalistische Moll-Melodien aus dem Keyboard. Was sich dazwischen abspielt? Freundschaft, Liebe, Sex, Armut, Deportationsangst, Erfolg, Verlust, Heimweh, Depressionen, Laster, Ratlosigkeit und jede Menge Melancholie und Introspektive des Migranten aus Trinidad.
Das klingt zuerst nicht nach leicht verdaulichem Hörgenuss, doch gelingt spielerisch der Wechsel zwischen rauem Storytelling und eingängigen, tanzbaren Hooks. Berwyn betont dieses Wechselspiel durch den Einsatz seiner hohen Gesangsstimme und seiner tieferen und trägeren Erzählstimme. Ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn das im Chorus gekonnt eingesetzte Auto-Tune für ernste Passagen aus Berwyns Leben schweigt. Dank diesem Facettenreichtum bewegt das Album gleichermaßen zum nachdenklichen Nicken, wie zum Tanzen oder Kuscheln.
Ja, Kuscheln! Denn wo Demotape/Vega thematisch noch regelmäßig in das Spirituelle abdriftete, da fährt Tape 2/Fomalhaut stattdessen mit verschiedenen Liebesperspektiven auf. Durch To Be Loved zeigt Berwyn, dass ihm universelle Liebeslieder durchaus stehen. Trotzdem ergreifen gerade nuanciertere und dadurch besonders authentische und persönliche Lieder wie Rubber Bands, Answers oder die erste Singleauskopplung Vinyl.
Beim ersten Hören fällt auf, dass Berwyn recht exzessiv seinen Graskonsum thematisiert. Das Thema schleicht sich in fast jeden Song ein. Hier wäre weniger mehr gewesen. Allerdings möchte ich nicht ausschließen, dass Berwyn so das Problem an seiner Sucht selbstkritisch deutlich machen wollte. Abgesehen davon ist das Album mit knapp 38 Minuten kompakt. Es hört sich klarer und fokussierter an als Berwyns Debüt und wirkt dadurch zugänglicher, radiofreundlicher, büßt aber nichts von Berwyns essentieller Authentizität ein. Ein großer Schritt in eine vielversprechende Richtung. Man darf gespannt sein auf den weiteren Aufstieg des bis vor kurzem noch obdachlosen Künstlers.