© Max Sand
von Michaela Lübcke
Zu Sebastian Hotz‘ Debütroman Mindset
Wer mehr oder weniger regelmäßig in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, wird ihnen sicher schon begegnet sein: Lifecoaches, die simultan auch noch Finanzexperten sind, auf von verdächtig rasant wachsenden Followerzahlen und verdächtig geringer Interaktion nur so strotzenden Instagramseiten mit ihrem Reichtum prahlen, und freundlicherweise ihre Follower nur zu gern an der Formel für ihren Erfolg teilhaben lassen wollen. Ganz nach dem Motto: Auch du kannst ein Gewinner, gar ein Alpha sein, ein Wolf, der die Schafe hinter sich zurück lässt – Alles, was es dazu braucht, ist die Buchung eines Seminars und das Investieren in die eigens gegründete Kryptowährung samt zugehörigem Pyramidensystem. Mit genau diesem Phänomen beschäftigt sich Sebastian Hotz, online besser bekannt unter seinem Pseudonym El Hotzo, in seinem Debütroman Mindset.
„Ein Roman über Männer, die keine Zeit und keine Lust haben, an ihrer Durchschnittlichkeit zu verzweifeln, und eine Gesellschaft, die deren Ausflüchte irgendwie bewältigen muss. Als ob es nicht schon genug Probleme gäbe“ — So stellt der Klappentext den Roman vor, und die Beschreibung ist Programm. Es geht um eine Gruppe Männer, die fest davon überzeugt ist, das richtige Mindset hätte die Macht, das eigene Leben in jede gewünschte Richtung zu lenken, und um ihre Mitmenschen, die sich den Vorträgen über Wölfe und Schafe, teure Sportwagen und Krypotwährungen mal mehr, mal weniger freiwillig aussetzen.
“Fake it ‘til you make it”
Zu Beginn des Romans lassen die angekündigten Finanzexperten noch auf sich warten, als Hotz seine Leser*innen gemeinsam mit der jungen Rezeptionistin Yasmin zu ihrer Schicht in einem Hotel in Mühlheim an der Ruhr schickt – begleitet von einer nennenswert realitätsnahen Verschriftlichung der Betriebsgeräusche eines Kaffeevollautomaten. Die Routine von Yasmins Arbeitstag wird jäh unterbrochen von einem unfreundlichen Gast. Es folgt der ersehnte Auftritt des ersten und vermutlichen wichtigsten Lifecoach-Schrägstrich-Finanzexperten dieser Geschichte, der für eines seiner Seminare einen Tagungsraum des Hotels gebucht hat: Maximilian Krach, Gründer und Geschäftsführer von Krach Consulting, ein Gewinner, ein Wolf, ein Alpha, einer, der es vom Tellerwäscher – beziehungsweise vom Pizzalieferanten – zum Millionär geschafft hat. Zumindest lässt er das andere gerne glauben.
Neben Yasmin und Maximilian wird kurz darauf auch Mirko eingeführt, der eigentliche Protagonist der Geschichte, der, nachdem ihm das Instagramprofil von Krach Consulting auf den Social Media Feed gespült wird, nur allzu begeistert von Krachs Selbstinszenierung ist. Auf knapp unter 300 Seiten begleiten Leser*innen also Mirko, der sich unter der Führung von Maximilians vermeintlich erfolgreicher Hand vom schüchternen Neuen aus der IT-Abteilung zu einem echten erfolgreichen Wolf wandeln will, sowie Maximilian selbst, der sich größte Mühe gibt und doch daran zu verzweifeln scheint, die Illusion seines angeblich großen Reichtums und Erfolges aufrechtzuerhalten, und Yasmin, die sich, motiviert von Krachs unbeglichener Hotelrechnung, auf Spurensuche begibt.
Die Erzählperspektive wechselt regelmäßig zwischen den dreien, wodurch den Leser*innen schon lange vor den Charakteren offenbart wird, dass jeglicher Reichtum, der in Krachs Seminargruppen thematisiert wird, nur erfunden oder durch geschickte Bildbearbeitung entstanden ist, und dass die Motivation zum Erfolg und der Glaube an die Kraft des Mindsets nur aus dem gegenseitigen Belügen erwächst, während die angeblich so erfolgreichen Unternehmer etwas zu lange in der fake it Phase der Strategie fake it ‘til you make it feststecken. Die drei separaten Erzählstränge streifen sich zunächst nur in gelegentlichen Interaktionen, bis schließlich am Höhepunkt der Handlung alle drei aufeinandertreffen und eine von Mirko und Yasmin ohne böse Absicht getätigte Pizzabestellung Maximilians größtes Geheimnis offenbart.
Vom satirischen Twitter-User zum Autor
Obwohl Hotz wohl eher zu der Sorte Autor*innen gehört, die hauptsächlich deshalb veröffentlichen können, weil sie bereits aus anderen Gründen bekannt sind, überzeugt der Roman sowohl durch Handlung und Personenkonstellation, als auch, was den Schreibstil angeht. Die Perspektivenwechsel zwischen den drei Charakteren sind treffend gesetzt und nehmen die Leser*innen mit in eine packende Erzählung. Lediglich der einzelne Wechsel in die Perspektive von Mirkos Arbeitskollegin Angela fällt aus dem Muster, und stellt — obgleich es sich um einen handwerklich notwendigen Griff handelt, der Entwicklungen offenbart, bei denen Mirko nicht zugegen ist — einen kleinen Stolperstein für die Lesenden dar.
Besonders hervorzuheben sind die zu Beginn eines jeden Kapitels gesetzten Passagen, in denen die Erzählstimme unabhängig von jeglichen Charakteren über eine bestimmte Begebenheit philosophiert – beispielsweise über die Bedeutung der Uhr, des 8‑Stunden-Arbeitstages, oder über die Unvergänglichkeit von Plastik – bevor sich einer der Charaktere in einer Situation wiederfindet, für die diese vorausgegangene Überlegung eine gelungene Überleitung darstellt. Auch wenn der Roman in seiner Gesamtheit einen Ton trifft, der allen vertraut sein dürfte, die Hotz‘ Onlineauftritt kennen, sind es doch besonders diese Passagen, die dem Stil seiner Tweets am deutlichsten ähneln und dem Werk einen angenehm markanten Charakter verleihen.
Wem also El Hotzos Onlinebeiträge zusagen, der wird auch seinen Debütroman zu schätzen wissen. Die von Hotz gewohnte Satire wird im Roman von zahlreichen Referenzen zu Memes und Internetkultur begleitet, und auch die reale Politik bekommt ihr Fett ab, als er mit dem Satz „Probleme waren eben auch nur dornige Chancen“ auf ein in Onlinekreisen fast schon legendäres Interview mit dem jungen Christian Lindner anspielt.
Unsicherheiten, Lifecoaches, und ein Gefühl von Zugehörigkeit
Neben aller Satire und Karikatur einer Art Mensch, die schon so Manchem in den Tiefen des Internets begegnet ist, liefert Hotz jedoch auch einen Einblick in die Personen hinter solchen Onlineinszenierungen, deren Sorgen und Ängste sowie die Gründe, warum sie sich in fast schon sektenartige Gruppierungen von Finanzexperten, Lifecoaches und Kryptoinvestoren stürzen. Mindset behandelt eine Gruppe von Männern, die ihre Unsicherheiten über ihr Leben zu überdecken versuchen, indem sie eine Rolle spielen, und die sich durch das Inszenieren einer Version ihrer selbst, der sie nicht gerecht werden können, noch unglücklicher machen.
Letztendlich karikiert Hotz in seinem Debütroman also nicht nur, sondern erklärt und analysiert auch, und bietet neben einer unterhaltsamen Lektüre vielleicht auch einen Gedankenanstoß darüber, ob Theorien über Wölfe und Schafe, das richtige Mindset und protzige Instagramprofile wirklich die Dinge sind, die Menschen in die Communities von Life-Finanz-Coaches treiben, oder ob sie sich nicht stattdessen vielleicht nur nach einem Gefühl der Zugehörigkeit sehnen, das ihnen die dort anzutreffenden Gruppierungen bieten.